Projekttagebuch für komplexe Projekte im Übersetzungsmanagement

Für viele Profi-Sportler ist es Routine: Sie führen ein Tagebuch und tragen dort ihre Trainingsdaten ein wie Tagesform, erbrachte Leistung oder Beschwerden. Beim Projektmanagement von Übersetzungen ist ein Tagebuch allerdings weniger verbreitet, obwohl es sich als sehr nützliches Instrument für eine erfolgreiche Projektarbeit erweisen kann.

Komplexe und kommunikationsintensive Übersetzungsprojekte

Größere Übersetzungsprojekte mit einer Vielzahl von Dateien und Sprachen können sich als sehr komplex und fehleranfällig erweisen. Nicht selten muss der Projektmanager über mehrere Wochen viele Prozessschritte und Hunderte von Bearbeitungszuständen überwachen, mit mehreren Übersetzern, technischen Fachleuten oder Auftraggebern kommunizieren. Das Projektwissen ist auf viele Köpfe verteilt.

Zwar gibt es am Markt eigenständige bzw. in Translation-Memory-Systemen integrierte Verwaltungsprogramme für Projekte, aber nur wenige liefern die Instrumente für ein systematisches Erfassen des Projektlebens. Daher bietet sich das Führen eines elektronischen Projekttagebuchs als nützliche Ergänzung zu den gängigen Mitteln des Projektmanagements an. So lässt sich mit einem Blick feststellen, was im Verlauf des Projekts geschehen ist. Das ist z. B. praktisch, wenn ein Mitarbeiter nach seinem Urlaub zurückkommt und das Projekt weiterführt bzw. wenn am Ende des Projektes nach möglichen Fehlerursachen gesucht wird.

Inhalt eines Projekttagebuchs

Aber wie soll ein solches Projekttagebuch aussehen? Welche Informationen gehören dazu? Das Wichtigste ist zuerst einmal, dass der Projektmanager alle Projektereignisse chronologisch (mit Datum und möglichst auch mit Uhrzeit) erfasst. Falls mehrere Personen das Tagebuch führen, muss auf jeden Fall der Name des Verfassers auch mitprotokolliert werden.

Erfasst werden unterschiedliche Ereignisse wie Beauftragung, wichtige Mails, bestimmte Aktionen (wie Dateneingang oder Lieferung), Meetings (und Beschlüsse), Kommunikation oder Vereinbarungen. Am besten ist es, wenn bereits von Anfang an mit typischen Informationskategorien gearbeitet wird, sodass bei Bedarf eine gezielte Informationssuche anhand dieser Kategorien (z. B. über eine Filterfunktion von Excel) erfolgen kann. Beispiel: „Gibt es in der Kategorie ‚ToDo‘ eine Aufgabe, die den Status ‚offen‘ hat?“. Da in der Regel Projekte nicht einmalig sind, macht es Sinn, diese Kategorien zu standardisieren. Beispiele für solche Kategorien sind: „Kommunikation mit Kunden, Kommunikation mit Lieferanten, Verarbeitungsschritt, Kosten, Anweisung/Vereinbarung, ToDo“.

Anweisungsänderungen oder -ergänzungen protokollieren

Von besonderer Bedeutung sind Informationen, die im Projektverlauf Gegenstand von Diskussionen sein könnten. Es geht u. a. um Anweisungen, die der Auftraggeber dem Dienstleister oder der Projektmanager dem Übersetzer erst zu einem späteren Zeitpunkt erteilt, wenn das Projekt bereits angelaufen ist. So kann es z. B. sein, dass eine Anweisung zur Terminologie erst nach der Lieferung eines Projektteils erfolgte und diese Information ohne Projekttagebucheintrag einige Wochen später nicht mehr zu rekonstruieren ist. Die Verwunderung ist dann groß, wenn Vorgaben in der Übersetzung nicht umgesetzt wurden.

Beim Protokollieren von Aktionen, die von Problemen unterschiedlicher Natur (technisch, sprachlich oder organisatorisch) begleitet werden, ist es im Sinne künftiger Verbesserungsmaßnahmen wichtig, diese Probleme genau zu beschreiben und zu dokumentieren und dabei die möglichen Ursachen zu nennen. Es geht um Fragen Wer, Was, Wie, Womit und mit Welchem Ergebnis umgesetzt hat. Beispiel: „Bei der Projektvorbereitung hat der EDV-Mitarbeiter in der Datei ABC.XLIFF einige Sätze falsch segmentiert. Es hat sich herausgestellt, dass der Text unbekannte Abkürzungen enthielt, die das Übersetzungssystem als Satzende interpretiert hat.

Auch das Erfassen etwaiger Abweichungen zwischen Plan und Ergebnis kann nützlich sein, etwa: „Die französische Qualitätssicherung des Magazintextes durch XY hat 3 Stunden länger gedauert. Die vorgegebenen Artikelbezeichnungen stimmten nicht immer mit der Terminologie überein und mussten geklärt werden.“

Aus den erfassten Informationen lernen

Nach Abschluss eines Projektes bildet das Projekttagebuch eine wichtige Grundlage für Abschlussbesprechungen, bei denen es darum geht, die Organisation und die Durchführung des Projekts zu bewerten. Daraus lassen sich Lösungsideen und Verbesserungen für künftige Projekte ziehen. Auch können Tagebucheinträge Informationen über Aktionen enthalten, die noch durchzuführen sind, wie z. B. das nachträgliche Korrigieren der Terminologie in einem Translation-Memory.

Im Falle von Meinungsunterschieden zwischen Projektteilnehmern (Übersetzungsdienstleister, Übersetzer oder Auftraggeber) helfen die Informationen aus dem Projekttagebuch, die Diskussion zu versachlichen und Ursachen zu identifizieren. Auch können sie im Falle von nicht selbst verschuldetem Mehraufwand die Forderungen eines Projektteilnehmers untermauern.

Ideal wäre es, wenn die gängigen Projektmanagement-Programme, ob eigenständig oder in Übersetzungsumgebungen integriert, eine Tagebuchfunktion anböten. Zwar lässt sich vieles durch Nachforschen und Sichten von Notizen und Korrespondenz rekonstruieren, aber das ersetzt die Möglichkeiten nicht, die ein Tagebuch bietet.

Obwohl das Führen eines Tagebuchs mit einem gewissen Aufwand verbunden ist, gehört es zu den Best-Practices des Projektmanagements. Es ist ein wichtiges Instrument zur Projektsteuerung und für die kontinuierliche Verbesserung von Unternehmensprozessen.

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