Die Art wie Dokumente und Übersetzungen zusammengestellt werden hat sich stark verändert. Es ist heute nicht selten, dass neue Dokumentationen je nach Branche oder Produkttyp aus bis zu 90% wiederverwendeten Texten unterschiedlicher Herkunft stammen. Kritische Rückmeldungen zur Qualität der Enddokumentationen sind der Anlass, das Konzept der modularen Dokumentationserstellung auf den Prüfstand zu stellen.
Modulare Informationserstellung und Übersetzung
Am Anfang steht die Produktentwicklung. Unternehmen entwickeln viele Produkte modular und dokumentieren die Komponenten nicht jedes Mal getrennt. Sie müssen dafür sorgen, dass die Informationsinhalte zu mehreren Produktvarianten passen. Redaktionssysteme sind in vielen Unternehmen verbreitet. Sie arbeiten mit Modulen, die meistens mehrsprachig verwaltet werden. Nur geänderte oder neue Abschnitte der Dokumentation werden an Translation-Memory-Systeme (TMS) weitergegeben, die diese mit Inhalten aus Übersetzungsdatenbanken abgleichen. Von der fertig übersetzten Dokumentation, die der Nutzer in der Hand hält, wurde oft nur ein verschwindend geringer Teil aktiv und zeitnah übersetzt … und qualitätsgesichert. Zwei weitere Faktoren spielen bei der problematischen Wiederverwendung der gespeicherten Module und Übersetzungseinheiten eine Rolle. Die Inhalte kommen nicht nur aus unterschiedlichen Anwendungen oder Datenbeständen, sondern sie wurden von unterschiedlichen Autoren oder Übersetzern zu unterschiedlichen Zeiten (manchmal in Abständen von Jahren) erstellt. Diese Einheiten (ob Modul im Redaktionssystem oder Segment im TMS) haben alle zu irgendeinem Zeitpunkt das Gütesiegel „Qualitätsgeprüft“ erhalten. Heute verlässt sich wohl die Mehrheit der Unternehmen oder Dienstleister auf dieses Gütesiegel. Das ist jedoch trügerisch. Die Übersetzungen mögen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung absolut korrekt gewesen sein, aber Technologie, Stilvorgaben und Terminologie entwickeln sich weiter und der Einsatzkontext kann ein anderer sein. Zum neu übersetzten Dokument passen diese einmal geprüften Übersetzungen nicht mehr.
Risiken bei der Wiederverwendung von Inhalten und Übersetzungen
Folgende Faktoren sprechen gegen eine blinde Übernahme validierter Inhalte:-
- Sprachliche Aspekte: Sprache und Stil verschiedener Autoren und Übersetzer sind uneinheitlich und verstoßen teilweise gegen die aktuellen Stilvorgaben.
- Terminologische Aspekte: Neue Termini sind definiert worden, die Definition bestehender Termini ist aktualisiert worden, so dass die Altbestände nicht mehr terminologiekonform sind. Man braucht in diesem Zusammenhang nur daran zu erinnern, wie schnell ein relativ neuer Begriff wie „Drohne“ innerhalb weniger Monate um neue Bedeutungen aus der Unterhaltungselektronik erweitert wurde.
- Inhaltliche Aspekte: Der neue Einsatzkontext verlangt eine besondere Auslegung mancher Texte oder Übersetzungen. Zu weit / zu eng formulierte Begriffe können zu falschen Handlungen oder Aussagen führen. Auch kann es dazu kommen, dass sich im neuen Zusammenhang die Bezüge zwischen Aussagen oder Konzepten geändert haben. Das Wort „Behälter“ kann man sehr unterschiedlich übersetzen, beispielsweise in Englisch als „tank“ oder „container“. Übersetzungen wie „drain tank“ für „Behälter leeren“ sind dann nur für bestimmte Behälterarten und Leerverfahren verwendbar. Solche Situationen kommen öfter vor, als man es annimmt.
- Zielgruppe: Texte können auch für andere Zielgruppen geschrieben werden. Das sog. Register einer übernommenen Übersetzung stimmt dann im neuen Kontext nicht mehr (es setzt z. B. zu hohe Fachkenntnisse für das Lesepublikum voraus).